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Interview

„Spannende Themen zwischen der Technik auf der einen und dem Menschen auf der anderen Seite“

Warum die Medizininformatik das Berufsfeld von morgen ist.

 

Ihr beide arbeitet schon seit Langem in der Medizininformatik (MI). Was fasziniert euch an ihr?

Ina: In der MI verbinden sich zwei Bereiche, die beide für sich genommen schon sehr spannend sind. Während die Medizin den Menschen in den Mittelpunkt stellt, versucht die Informatik moderne Technologien zu nutzen, um Prozesse digital darzustellen und gewissermaßen berechnen- bzw. steuerbar zu machen. Das sind erst einmal zwei sehr unterschiedliche Ansätze. Sie bilden jedoch bei genauerer Betrachtung eine große, spannende Schnittmenge, die die Medizin zu einem sehr konkreten, abwechslungsreichen und sinnhaften Anwendungsgebiet für die Informatik macht. 
 
Marianne: Und umgekehrt gibt die Medizin als Anwendungsbereich, also die Fokussierung auf das Wohl der Menschen für die Informatik eine ethische Ausrichtung, die ich wichtig und interessant finde. Die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Technologien für das Wohl der Menschen ist für mich ein Aspekt, der auch die Auseinandersetzung mit verschiedenen sozialen Implikationen bedeutet und ein zentraler Teil der MI ist. Also Technik nicht um ihrer selbst willen, sondern immer für den Menschen.
 
Es deutet sich schon an: Medizininformatik ist ein reiches, komplexes Feld.
Was versteht man genau unter „der Medizininformatik“?
Was machen die Menschen, die in diesem Feld arbeiten?

Ina: Zunächst einmal denkt man bei „Medizininformatik“ natürlich an Computer, die in jeder Arztpraxis und jedem Krankenhaus stehen. Auch in ganz vielen Medizingeräten steckt direkt MI, wie zum Beispiel in Computertomographen und Ultraschallgeräten. Konkret bedeutet das, dass man sich in der MI mit den unterschiedlichen Möglichkeiten beschäftigt, wie man medizinisch-relevante Daten erfassen, speichern und verarbeiten kann, um daraus Informationen und Wissen zu erhalten. Dabei geht es zum Beispiel um den Einsatz von Sensoren zur Messung von Vitalparametern, assistierende Gesundheitstechnologien oder Gesundheitsapps, aber auch um Themen wie Künstliche Intelligenz und Robotik. 
 
Marianne: Damit ist die MI ein sehr facettenreiches Arbeitsgebiet mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen rund um die Informations- und Kommunikationstechnologie. Immer mit dem Fokus auf medizinische Fragestellungen, aber in ganz verschiedenen Bereichen. Wobei es gegenwärtig und zukünftig auch darum geht, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass medizinische Daten aus der Forschung und der Gesundheitsversorgung standortübergreifend für eine bessere Gesundheitsversorgung und neue Forschungsansätze genutzt werden können. Im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Medizininformatik-Initiative (MII) werden dazu an den Universitätskliniken spezielle Datenintegrationszentren aufgebaut.

 

Interview Marianne Behrends und Ina Hoffmann

Fachübergreifendes Denken und Verstehen scheint in der Medizininformatik besonders wichtig zu sein?

Marianne: Ja, absolut. Neben Personen, die wie Ina Medizinische Informatik studiert haben, arbeiten Menschen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen an der Schnittstelle zwischen Medizin und Informatik zusammen. Personen kommen so zum Beispiel aus allen Studiengängen der Informatik, der Medizintechnik, den Ingenieurwissenschaften oder verwandten technischen Studiengängen, aber auch aus der Mathematik und der Biologie. Ebenso aus medizinischen und pflegerischen Bereichen, wie Ärzt*innen, Pflegekräfte, Therapeut*innen oder den Sozialwissenschaften. An der Medizinischen Hochschule Hannover wird zum Beispiel der Master-Studiengang Biomedizinische Datenwissenschaften angeboten. Das ist ein interdisziplinär angelegter Studiengang, der sich sowohl an Mediziner*innen als auch an Absolventinnen und Absolventen mit einem biowissenschaftlichen Bachelorabschluss richtet (Biologie, Biochemie, Biomedizin).
 
Ina: Im Studium der MI und auch bei den interdisziplinär angelegten Studiengängen ist die Kommunikation und der Austausch zwischen verschiedenen Fachgebieten sehr wichtig. Die MI übernimmt oftmals die Rolle eines Bindeglieds oder Dolmetschers zwischen Medizin und Informatik bzw. Technik, um so Expert*innen aus verschiedenen Bereichen zusammenbringen, damit gemeinsam Innovationen geschaffen werden können. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht spannende Einblicke in verschiedene medizinische Bereiche, wie die Kardiologie, die Radiologie und die Rehabilitationsmedizin, um hier nur einige zu nennen.

Um bei der Interdisziplinarität zu bleiben: Wie relevant ist die Medizininformatik im Medizinstudium?

Ina: Ich denke, die gesamte Bandbreite der MI ist auch für Mediziner*innen wichtig. Denn sie sind nicht nur die späteren Nutzer*innen der technologischen Entwicklungen und der verschiedenen Systeme, sondern müssen auch in der Lage sein, diese bezüglich ihrer Eignung zu beurteilen, sowohl hinsichtlich der medizinischen Wirksamkeit, der Nutzbarkeit als auch im Hinblick auf mögliche Risiken und Fehler. Und darüber hinaus sind Mediziner*innen auch Gestalter*innen von neuen Innovationen. Immer in Zusammenarbeit mit der Medizininformatik. Sie brauchen daher schon recht weitreichende Kompetenzen in Bezug auf die Methoden und Möglichkeiten der Medizininformatik, aber natürlich nicht in der Tiefe, wie sie Informatiker*innen erwerben. 

Marianne: Es gibt im Bereich der MI auch verschiedene Lernzielkataloge oder Empfehlungen, die Kompetenzen beschreiben, die Mediziner*innen benötigen. Wie das praktisch umgesetzt werden kann, ist dann immer eine spannende Frage. Da Ina und ich finden, dass Kompetenzen im Umgang mit Daten von zentraler Wichtigkeit sind, haben wir gemeinsam im Rahmen des Projekts HiGHmed ein Modul für Medizinstudierende zu Datenkompetenzen oder auch Data Literacy entwickelt. Dabei geht es uns darum, den Studierenden ein reflektiertes Bewusstsein der verschiedenen Aspekte im Umgang mit Daten zu vermitteln. Wir fokussieren uns bewusst nicht auf die Datenauswertung, sondern wollen den Blick auf die Sammlung von Daten, die Verwaltung von Daten sowie die sozialen und rechtlichen Implikationen bei der Anwendung der Daten richten. 

Digitalisierung der Medizin

Darüber hinaus habt ihr im April 2019 im Rahmen von HiGHmed einen Podcast ins Leben gerufen.

Marianne: Genau! Wir möchten damit einer breiteren Öffentlichkeit die verschiedenen Arbeitsbereiche an der Schnittstelle von Informatik und Medizin näherbringen und insbesondere Frauen in diesem Bereich ein Sprachrohr bieten. Darum werden in den Podcast-Episoden Frauen interviewt, die über ihre Arbeits- und Forschungsbereiche berichten. Es wird dabei auch immer beleuchtet, welchen beruflichen Weg die Frauen gegangen und wie sie im Feld der MI gelandet sind. Auch hier zeigt sich immer wieder, wie interdisziplinär die MI ist.
 
Ina: Uns ist wichtig, ein lebendiges und verständliches Bild der Arbeitsfelder in der MI zu vermitteln und wir hoffen, dass sich dadurch Menschen angesprochen fühlen, sich auch beruflich in diesem Bereich zu engagieren. Denn hier arbeitet man in einem Bereich, der das Wohl des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Das ist wirklich toll und sinnerfüllend.
 
Marianne: Ja, die MI bietet spannende Themen zwischen der Technik auf der einen und dem Menschen auf der anderen Seite. Und gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen der MII und einer Reihe von rechtlichen Bestimmungen zur Förderung der Digitalisierung der Medizin wird sich der Arbeits- und Forschungsbereich in den nächsten Jahren sicherlich noch weiter entfalten.

Ich bedanke mich bei euch beiden für das spannende und inspirierende Gespräch und wünsche euch für eure berufliche und private Zukunft alles Gute!

Das Gespräch führte Eva König, Managerin für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit des HiGHmed Konsortiums.

Weiterführende Links:

Institutsseite des PLRI: https://plri.de 
Studiengang Biomedizinische Datenwissenschaft: https://www.mhh.de/master-biomeddat
HiGHmed: https://www.highmed.org/ 
HiGHmeducation: https://education.highmed.org/de/home
MII: https://www.medizininformatik-initiative.de 
 

Dr. Marianne Behrends ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der TU Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover (PLRI) am Standort Hannover. Dort ist sie Ansprechpartnerin der Forschungsgruppe „E-Learning für technologiegestütztes Lehren und Lernen“. Darüber hinaus beschäftigt sie sich mit Forschungsfragen zur Vermittlung digitaler Kompetenzen in der medizinischen Ausbildung und zur Integration digitaler Lernangebote in pflegerische Arbeitsabläufe. Marianne Behrends hat verschiedene Forschungsprojekte zu digitalen Lehr- und Lernprozessen in der Medizin und Pflege durchgeführt und lehrt zu Themen der Medizinischen Informatik im Medizinstudiengang.
 
Ina Hoffmann ist Medizininformatikerin und ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin am Peter L. Reichertz-Institut für Medizinische Informatik der TU Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover am Standort Hannover. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der Gesundheitsinformationssysteme. Im Rahmen des Projekts HiGHmed liegt ihr Schwerpunkt auf der Entwicklung von Modulen zum Erwerb von Kompetenzen, die von medizinischen Fachkräften in einem digitalisierten Gesundheitssystem benötigt werden.

BMBF
MII