Interview Dorothea Kesztyüs
Seit Oktober 2023 koordiniert die NWG (Nachwuchsgruppe) CDS2USE am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden eine Vernetzungsinitiative. Ziel dieser Initiative ist es, die Sichtbarkeit der NWG zu erhöhen und die Arbeit der jungen Forschenden in den Fokus zu rücken.
In diesem Zusammenhang möchten wir Ihnen spannende Nachwuchsgruppen, Projekte und Persönlichkeiten wie Frau Dorothea Kesztyüs von der NWG FAIRRMeDIC aus dem HiGHmed Verbund näher vorstellen.
Frau Kesztyüs, Ihre Nachwuchsgruppe konzentriert sich auf die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses im Bereich der Entwicklung und Evaluation wissenschaftlicher Methoden in einem MeDIC. Könnten Sie uns bitte genauer erklären, was man sich darunter vorstellen kann?
Damit die Daten, die in einem MeDIC gesammelt werden, für die bestmögliche Patientenversorgung genutzt werden können, sind vor allen Dingen Kenntnisse im Bereich der Medizinischen Datenwissenschaften erforderlich. Nach der Definition der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS) ist „Medical Data Science“ (MDS) ein interdisziplinäres Feld, dessen Methoden die Grundlage für bestmögliche Erkenntnis aus medizinischen Daten liefern. Dazu gehören unter anderem die Datengenerierung im Rahmen der medizinischen Versorgung, die Sicherung von Datenqualität und Speicherung, sowie Strategien der Datenanalyse, Verfahren des maschinellen Lernens und des Modellierens.
Die Förderung unseres wissenschaftlichen Nachwuchs richtet sich daher auf das Erlernen und die Anwendung der Methoden von MDS im Rahmen der Weiterentwicklung unseres MeDIC. Dies gilt im Hinblick auf die Qualität der Daten, insbesondere der Reliabilität, also der Zuverlässigkeit der integrierten Daten, die von entscheidender Bedeutung für die daraus zu gewinnenden Erkenntnisse ist. An weiterer prominenter Stelle steht der maximale Schutz der Patienten vor De-Anonymisierung, daher soll die Quantifizierung des Re-Identifikationsrisikos eines extrahierten Datensatzes vor Herausgabe ermöglicht und bei Bedarf entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen werden können. Schließlich wird die Datensicherheit durch die Einführung strikter Änderungskontrollprozesse, die die gespeicherten Daten vor ungeplanten Veränderungen schützen bzw. Änderungen stets nachvollziehbar machen, erhöht. Dabei werden auch Verfahren, wie sie im streng reglementierten Rahmen klinischer und pharmazeutischer Studien Anwendung finden, auf ihre Eignung für das MeDIC getestet.
Vor dem Hintergrund des unmessbaren Wertes, den die in den MeDICs gesammelten Daten darstellen, ist die wissenschaftliche Ausbildung zu Experten im Umgang mit diesen Daten eine große Investition in die Zukunft, mit hohem zu erwartendem Return on Investment für unser zukünftiges Gesundheitssystem.
Könnten Sie uns zunächst erläutern, was unter Real-World-Daten zu verstehen ist und welche Bedeutung diese in der modernen Medizin haben?
Es gibt diverse Definitionen für den Begriff „Real-World-Daten“ (RWD), die sich in erster Linie darauf beziehen, wie, für welchen Zweck und aus welchen Quellen die Daten erhoben werden. RWD sind in der Regel nicht-interventionell, d.h. sie kommen nicht aus randomisierten kontrollierten Studien (RCT), sondern werden routinemäßig erhoben. Sie werden für Zwecke der Entscheidungsfindung oder zur Untersuchung der Auswirkungen von Gesundheitsmaßnahmen genutzt und stammen aus der klinischen Routinepraxis etwa aus Krankenhäusern, Arztpraxen, Registern, von Kostenträgern, Versicherungen etc. Im MeDIC der Universitätsmedizin in Göttingen (UMG) handelt es sich also um routinemäßig erfasste Daten aus einem Krankenhaus der Maximalversorgung. Diese RWD können vielfältig genutzt werden, nicht nur für die Entwicklung von Systemen für die klinische Entscheidungsunterstützung, sondern auch zur Generierung sogenannter „Real World Evidence“ (RWE), welche zunehmend komplementär zu Erkenntnissen aus RCTs Anwendung findet. Arzneimittelbehörden wie beispielsweise die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) verwenden schon seit langem RWD und RWE, um die Sicherheit zugelassener Arzneimittel nach dem Inverkehrbringen zu überwachen und zu bewerten. Fortschritte bei der Verfügbarkeit und Analyse von RWD haben das Potenzial für die Generierung robuster RWE zur Unterstützung von Zulassungs-Entscheidungen erhöht. RWD und RWE können somit die Entwicklung medizinischer Produkte beschleunigen und neue Innovationen und Fortschritte schneller und effizienter zu den Patienten bringen, die sie benötigen. Außerdem erfordert die Entwicklung einer evidenzbasierten Praxis auch die entsprechende praxisbezogene Evidenz, die durch die Analyse von RWD z.B. aus elektronischen Krankenakten oder Registerdaten gewonnen werden kann. Damit liefern Erkenntnisse aus der täglichen Praxis wichtige Informationen aus dem realen Alltag der Versorgung von Millionen Patienten (Big Data Analysen) für Millionen von Patienten und dienen somit auch als mögliches Korrektiv für Ergebnisse aus der isolierten Welt der RCTs, denen es genau an dieser externen Validität fehlt, die RWE erbringen kann.
Das UMG-MeDIC und die FAIRRMeDIC Nachwuchsgruppe haben es sich vor diesem Hintergrund zur Aufgabe gemacht, RWD mit einem hohen Maß an Qualität und Sicherheit für interessierte Forscher zur Verfügung zu stellen. Insbesondere die Reliabilität der RWD ist entscheidend, darauf verweisen viele entsprechende Einrichtungen und Experten, die auch eine a-posteriori Kontrolle der Datenqualität bei sekundärer Datennutzung fordern. Forscher und Gutachter sollen systematisch die Eignung von RWD bewerten können, indem sie Verifizierungsprüfungen zur Bewertung der Reliabilität durchführen und somit das Phänomen „Garbage in – Garbage out“ vermeiden.
Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie im Bereich des Datenschutzes, und welche Rolle spielt die internationale Zusammenarbeit in diesem Zusammenhang?
Diese Frage möchte ich vor dem Hintergrund der Zielsetzung unserer Nachwuchsgruppe beantworten, da ich ansonsten zu weit ausholen müsste angesichts der rasanten Expansion von Datenquellen, -sammlungen und Verwendungsmöglichkeiten, selbst wenn man es auf den medizinischen Bereich beschränken wollte.
Um hier nur ein sehr aktuelles Stichwort aufzugreifen, das uns auch zunehmend im MeDIC begegnet, wie sieht es mit dem Datenschutz bei Daten aus, die für die Entwicklung von Verfahren mit künstlicher Intelligenz (KI) benötigt werden? Auch hier geht die zunehmende Verwendung und das ansteigende Volumen von RWD natürlich mit großen Anforderungen an den Datenschutz einher. Grundsätzlich haben KI und RWD ein großes Potential zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung, aber entsprechend der internationalen Verfügbarkeit der zugrundeliegenden Daten, ist eine länderübergreifende Zusammenarbeit zum Schutz der Anonymität und Privatsphäre der Personen, von denen diese Daten stammen, unabdingbar. Hier ist vor allem die enge Zusammenarbeit von Politik und Forschung erforderlich, um wissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich der Vulnerabilität von RWD und potentieller Schutzmaßnahmen möglichst zeitnah in regulatorische Prozesse zu überführen.
Wie bewerten Sie die zukünftige Entwicklung des Datenschutzes in MeDICs? Welche neuen Herausforderungen könnten uns Ihrer Meinung nach in der Zukunft erwarten?
Für den Datenschutz in den MeDICs gilt ähnliches wie für den internationalen Schutz von RWD. Allerdings sollten die MeDICs, zumindest in Deutschland, proaktiv tätig werden und die ethischen und rechtlichen Herausforderungen, die die Nutzung der Daten mit sich bringt, antizipieren und entsprechende Maßnahmen ergreifen, bevor die entsprechenden Behörden die notwendigen Regularien erlassen.
Mehr Informationen zur NWG FAIRRMeDIC finden Sie hier